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SiPo

"Sicherheitspotenziale im höheren Lebensalter"

Das Projekt

Seit März 2012 fördert das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ (Öffnet in einem neuen Tab)) das Forschungsprojekt „Sicherheitspotenziale im höheren Lebensalter“. Ziel des Projektes ist es, sicherheitsbezogenes Handeln im Alter zu stärken und Maßnahmen zur Prävention betrügerischer Vermögensdelikte an älteren Menschen zu entwickeln.

Ausgangspunkt: Studien zu den Vorstellungen älterer Menschen von Lebensqualität zeigen, dass – neben anderen Themen – der Sicherheit vor Gewalt und Kriminalität eine erhebliche Bedeutung zugemessen wird. Für diesen Aspekt von Lebensqualität tun ältere Menschen viel. Und sie tun dies insgesamt erfolgreich, denn ihre Viktimisierungsraten liegen unter denen anderer Erwachsener. Um ihre Sicherheit in Bezug auf Kriminalität und Gewalt zu verbessern, sichern Ältere häufiger als Jüngere ihr Haus oder ihre Wohnung gegen Einbruch, meiden nach Möglichkeit als bedrohlich erlebte Orte und gehen wahrgenommenen Risiken bewusst aus dem Weg (vgl. Görgen, Herbst, Kotlenga, Nägele & Rabold, 2009; Görgen, 2010a; 2010b).

Während dieses sicherheitsorientierte Handeln dazu beiträgt, dass Ältere vergleichsweise selten von polizeilich registrierten Straftaten betroffen sind, ist zugleich immer wieder die Befürchtung zu hören, dass sie hierdurch zu „Gefangenen der Furcht“ werden. Bemühungen, erlebten Gefährdungen auszuweichen, können eine Vielzahl unerwünschter Nebeneffekte haben. Dazu gehören ein insgesamt reduziertes (außerhäusliches) Aktivitätsniveau und Einschränkungen sozialer Kontakte. Daher gilt es, die Sicherheit älterer Menschen unter Nutzung ihrer Fähigkeiten zur Selbstsorge, unter Beachtung der „Grenzen von Selbstsorge“ und mit Blick auf mögliche Nebeneffekte und potenzielle Zielkonflikte zwischen Sicherheit und Lebensqualität zu fördern.

 

Im modular aufgebauten Projekt „Sicherheitspotenziale im höheren Lebensalter“ werden vor diesem Hintergrund zwei Bereiche bearbeitet.

Modul A: Perspektiven der Selbstorganisation von Sicherheit im Alter

Dieses Modul geht davon aus, dass ältere Menschen Expertinnen und Experten in Fragen der eigenen Sicherheit sind und dass zugleich die diesbezüglichen Potenziale optimiert werden können. Ziel des Moduls ist es, alltägliches sicherheitsorientiertes Handeln im Alter zu analysieren und durch Training und Peer-Learning in einer Weise zu optimieren, die ein hohes Maß an Sicherheit vor Straftaten mit hoher Lebensqualität und aktiver Teilnahme am sozialen Leben vereinbar macht. Das entsprechende Trainingsprogramm wird umgesetzt, evaluiert und weiterentwickelt.

Wissenschaftlich kaum untersucht ist, welcher Verhaltensmuster zur Verminderung von Kriminalitätsrisiken sich ältere Menschen in unterschiedlichen Kontexten bedienen, auf welche Befürchtungen und Bedrohungsbilder diese Verhaltensmuster sich beziehen und welche materiellen und sozialen Ressourcen ältere Menschen nutzen, um ihre Sicherheit zu erhöhen. Forschungsbedarf besteht hinsichtlich der Frage, wie Ältere in ihren Bemühungen um Sicherheit so unterstützt werden können, dass ein hohes Niveau des Schutzes vor möglichen Gefährdungen erreicht wird und zugleich unerwünschte Effekte wie die Einschränkung von Handlungsmöglichkeiten oder die Beeinträchtigung von Gesundheit und Wohlbefinden vermieden werden.

Im Rahmen des Moduls werden u. a. folgende Handlungsschritte umgesetzt:

  • Interviews und Fokusgruppen mit älteren Bewohnerinnen und Bewohnern, sowie mit Expertinnen und Experten in ausgewählten Sozialräumen: In ausgewählten Wohnumfeldern werden Interviews und Fokusgruppen mit älteren Frauen und Männern geführt. Sie dienen dem Ziel, eine strukturierte Bestandsaufnahme sicherheitsorientierten Alltagsverhaltens im höheren Lebensalter vorzunehmen und Veränderungs- und Unterstützungsbedarfe auszuloten. Neben der Perspektive der jeweils vor Ort lebenden älteren Menschen werden auch Erfahrungen und Sichtweisen von Fachleuten für das Projekt nutzbar gemacht. Zielgruppe sind alle diejenigen, die direkt mit Fragen der Sicherheit in den betreffenden Wohngebieten befasst sind bzw. vor dem Hintergrund beruflicher oder ehrenamtlicher Tätigkeit zu Fragen der Sicherheit älterer Menschen Wissen und Erfahrungen beisteuern können. Dazu gehören z. B. Polizei und Justiz, lokale Präventionsgremien und Einrichtungen der Opferhilfe.
  • Entwicklung, Durchführung und Erprobung eines Trainingsprogramms zur Förderung von Sicherheit und Lebensqualität für ältere Menschen: Auf Basis der gewonnenen Erkenntnisse und unter Einbeziehung weiterer Befunde alters- und kriminalitätsbezogener Forschung wird in den ausgewählten Wohnquartieren ein Trainingsprogramm für Gruppen älterer Menschen entwickelt und durchgeführt. Das Training knüpft an bereits vorhandene alltagsweltliche Sicherheitsstrategien der Teilnehmerinnen und Teilnehmer an. Darüber hinaus werden Bereiche herausgearbeitet, in denen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer sich Unterstützung bei der Optimierung ihres Sicherheitsverhaltens wünschen. Die Maßnahmen werden unter Einbeziehung von Kontrollgruppen nicht entsprechend trainierter Älterer im Hinblick auf objektive wie subjektive Aspekte von Sicherheit, sicherheitsorientiertes Handeln, erlebte eigene Kompetenz im Umgang mit Sicherheitsfragen sowie verschiedene Aspekte von Lebensqualität evaluiert.
  • Fachtagung, Tagungsdokumentation und Broschüre: Eine interdisziplinär besetzte Fachtagung zu Möglichkeiten und Grenzen der Förderung von Sicherheit und Lebensqualität für ältere Menschen dient neben der Dissemination der Projektergebnisse und der Weiterentwicklung von Präventionskonzepten auch der Netzwerkbildung relevanter Professionen und Akteure. Vorträge, Diskussionen und Arbeitsergebnisse der Tagung werden in einer Tagungsdokumentation zugänglich gemacht. Des Weiteren wird eine Broschüre erarbeitet, die sich an ältere Frauen und Männer, an Seniorenvertretungen, lokale Präventionsgremien und in der Seniorenarbeit tätige Personen richtet und über das Konzept einer durch Austausch, wechselseitiges Lernen und Training optimierten Selbstorganisation von Sicherheit im Leben älterer Männer und Frauen informiert.


Modul B: Gefährdung älterer Menschen durch Eigentums- und Vermögensdelikte und unseriöse Geschäftspraktiken

Dieses Modul nimmt die besondere Gefährdung älterer Menschen im Bereich der Vermögensdelikte in den Blick. Es zielt darauf ab, den Schutz insbesondere vor betrügerischen Taten zu verbessern. Hierzu wird vor dem Hintergrund einer Analyse des Deliktsfeldes ein mit Maßnahmen im Bereich der Organisationsentwicklung verknüpftes Schulungsprogramm für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Banken entwickelt, evaluiert und optimiert. Die Ergebnisse werden wiederum im Rahmen einer Tagung diskutiert und in Form einer Tagungsdokumentation und einer Broschüre verfügbar gemacht.

Besondere Gefährdung älterer Menschen im Bereich der Vermögensdelikte: Gegenläufig zur Kriminalitätsbelastung insgesamt bestehen im Bereich der Vermögensdelikte besondere Gefährdungspotenziale im hohen Alter. Dies betrifft insbesondere Betrugsdelikte, Trickdiebstähle und andere mit Täuschungen verknüpfte Vermögensdelikte, bei denen Täter gezielt ältere Menschen als Opfer wählen, weil sie dort günstige Tatbedingungen vermuten. Entsprechende Taten beeinträchtigen die Lebensqualität älterer Menschen nicht nur durch den Verlust materieller Ressourcen, sondern auch durch Ängste und Schamgefühle. Begangen werden sie durch fremde, oftmals organisiert vorgehende Täter, aber auch durch Personen aus dem privaten und professionellen Umfeld.

Derzeit liegen weder ausreichend aufbereitete Daten zur Viktimisierung älterer Menschen durch Eigentums- und Vermögensdelikte vor, noch sind Ansätze der Prävention hinreichend erprobt und auf ihre Wirkungen hin untersucht worden. Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern von Banken kann in vielen Fällen eine Schlüsselstellung als Präventions- und Interventionsinstanz zukommen. Um dieses Potenzial zu nutzen, bedarf es der Sensibilisierung und Schulung der im direkten Kundenkontakt stehenden Beschäftigten unter aktiver Einbindung höherer Entscheidungsebenen.

Auch hier seien die wesentlichen Komponenten des Moduls kurz umrissen.

  • Analyse polizeilicher Daten im Hinblick auf Gefährdungen älterer Menschen durch Eigentums- und Vermögensdelikte: Die Polizeiliche Kriminalstatistik weist bislang Opferdaten nur für Gewaltdelikte (inklusive Raubstraftaten) aus und ist daher im Hinblick auf Vermögensdelikte an älteren Menschen kaum aussagekräftig. Vor allem der Ausbau der elektronischen Vorgangsverwaltung bei der Polizei erweitert hier die Analysemöglichkeiten im Hinblick auf ein differenziertes Bild von Tat-, Opfer- und Tätermerkmalen, das Skizzieren von Risikoprofilen und die Entwicklung und Optimierung von Präventionsansätzen.
  • Opfer-, Täter- und Experteninterviews zu Vermögensdelikten an Älteren: Die Analyse vorhandener Daten der Strafverfolgungsbehörden ergänzend, werden leitfadengestützte Interviews mit von (vollendeten und versuchten) Vermögensdelikten betroffenen älteren Menschen sowie mit Täterinnen und Tätern einschlägiger Delikte geführt. Darüber hinaus werden Expertinnen- und Experteninterviews insbesondere im Bereich von Strafverfolgungsbehörden, Verbraucherschutz, Opferhilfeorganisationen, Betreuungsvereinen, Familiengerichten sowie bei Banken und im Finanzwesen geführt. Neben „klassischen“ Deliktsmustern (wie Enkel- oder Stadtwerketrick) nehmen die Interviews auch neuere und sich entwickelnde Modi operandi, Taten durch Personen aus dem sozialen Nahraum der betroffenen Personen, unseriöse Geschäftspraktiken zum Nachteil älterer Menschen sowie den in Bezug auf diese Altersgruppe kaum beachteten Bereich der Viktimisierung via neue Medien in den Blick.
  • Trainings mit Mitarbeiterinnen/Mitarbeitern von Banken: Die Rolle von Banken als potenziell schützende Instanzen wird im Bereich der Vermögensdelikte zum Nachteil Älterer immer stärker wahrgenommen und ergibt sich vor allem daraus, dass viele Begehungsformen Prozesse einschließen, die über Kreditinstitute abgewickelt werden. Präventive Potenziale von Banken werden vor allem in der Aufklärung und Information älterer Kundinnen und Kunden, der Etablierung geeigneter Verfahrensweisen zum Umgang mit Verdachtssituationen sowie der Unterstützung bei der Aufklärung vollendeter oder versuchter Taten gesehen. Die im Rahmen des Projekts zu entwickelnden Schulungs- und Trainingsmaßnahmen richten sich an Bankmitarbeiterinnen und -mitarbeiter mit direktem Kundenkontakt. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Trainings werden darauf vorbereitet, in den Banken als Multiplikatorinnen und Multiplikatoren von Informationen zu Deliktsbildern, Indikatoren und adäquaten Verfahrensweisen zu wirken. Im strukturierten Dialog mit Führungskräften der beteiligten Banken werden Umsetzungs- und Verfahrensfragen erörtert, welche über die Ebene individuellen Mitarbeiterhandelns hinausgehen. Die verwendeten und vor dem Hintergrund von Evaluationsbefunden optimierten Trainingsmaterialien können auch Kreditinstituten zugänglich gemacht werden, die an der unmittelbaren Maßnahme nicht teilgenommen haben. In die Evaluation werden wiederum Bankmitarbeiterinnen und -mitarbeiter, die an der Maßnahme nicht partizipiert haben, als Kontrollgruppe einbezogen.
  • Fachtagung, Tagungsdokumentation und Broschüre: Projektergebnisse und sich daraus ergebende Perspektiven einer erfolgreichen Prävention und Kontrolle von Vermögensdelikten an älteren Menschen werden im Rahmen einer interdisziplinär ausgerichteten Expertinnen- und Expertentagung diskutiert, die Tagung und ihre Ergebnisse in einer Dokumentation zugänglich gemacht. Ferner wird eine an ältere Menschen und deren Angehörige adressierte Broschüre entwickelt, die darüber hinaus auch Hinweise für Berufsgruppen enthält, die in einem weiten Sinne im Bereich der Arbeit mit Seniorinnen und Senioren tätig sind. Ziel der Broschüre ist es, fundierte Information über das Deliktsfeld zu liefern und insbesondere auch Hinweise auf Möglichkeiten zum Schutz des Vermögens älterer Menschen vor betrügerischen Handlungen und unlauteren Geschäftspraktiken zu geben.

Zentral für das auf die Förderung der Sicherheit älterer Menschen vor Kriminalität und Gewalt ausgerichtete Projekt ist neben seiner modularen Struktur und der Thematisierung subjektiver und objektiver Facetten von Sicherheit im Alter vor allem der Fokus auf ältere Menschen als Mitgestalter ihrer Sicherheit wie auch als Adressaten von Maßnahmen Dritter. Das Projekt will ältere Frauen und Männer in ihrer Fähigkeit, für die eigene Sicherheit zu sorgen, unterstützen und stärken. Zugleich zielt es darauf ab, auch in Bereichen, in denen die eigenen Sicherheitspotenziale nicht ausreichen, Prävention zu optimieren und greift hierbei auf das im Rahmen des durch das BMFSFJ geförderten Aktionsprogramms "Sicher leben im Alter" hervorgehobene Konzept der Guardians, der Schutz gewährenden und Tatgelegenheiten unterbindenden Personen, Institutionen, Verfahrensweisen und Vorrichtungen zurück. In diesem Sinne greift das Projekt – mit einem spezifischeren Blick auf Vermögensdelikte – die Frage auf, wie die Fähigkeiten Dritter gestärkt werden können, einen Beitrag zur Prävention von Straftaten zum Nachteil älterer Menschen zu leisten.

Literatur

  • Görgen, T. (Hrsg.) (2010a). Sicherer Hafen oder gefahrvolle Zone? Kriminalitäts- und Gewalterfahrungen im Leben alter Menschen. Frankfurt a.M.: Verlag für Polizeiwissenschaft.
  • Görgen, T. (2010b). Viktimisierung von Senioren – empirische Daten und Schlussfolgerungen für eine alternde Gesellschaft. In B. Frevel & R. Bredthauer (Hrsg.). Empirische Polizeiforschung XII: Demografischer Wandel und Polizei (S. 123-147). Frankfurt a.M.: Verlag für Polizeiwissenschaft.
  • Görgen, T., Herbst, S., Kotlenga, S., Nägele, B. & Rabold, S. (2009). Kriminalitäts- und Gewaltgefährdungen im Leben älterer Menschen – Zusammenfassung wesentlicher Ergebnisse einer Studie zu Gefährdungen älterer und pflegebedürftiger Menschen. Berlin: Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend.

Projektteam an der Deutschen Hochschule der Polizei

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