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"Wir brauchen mehr Lebensphasenorientierung in der Berufswelt"

Prof. Dr. Andrea Fischbach, Leiterin des Fachgebiets "Sozial-, Arbeits- und Organisationspsychologie" an der Deutschen Hochschule der Polizei, im Interview

6. März 2024

Die Rechte und Rollen von Frauen in der Gesellschaft zu stärken, ist Ziel des Internationalen Frauentags jährlich am 8. März. Welche Rollen nehmen Frauen in der Wissenschaft ein? Was sind entscheidende Rahmenbedingungen für Wissenschaftlerinnen und welche Impulse geben Studiendaten zum Thema? Prof. Dr. Andrea Fischbach (Öffnet in einem neuen Tab), seit 2008 Leiterin des Fachgebiets "Sozial-, Arbeits- und Organisationspsychologie" an der Deutschen Hochschule der Polizei (DHPol), im Interview.

Obwohl es beinahe so viele Absolventinnen wie Absolventen an Universitäten gibt, arbeiten weltweit immer noch zu wenige hoch qualifizierte Frauen in der Forschung. Was sind Möglichkeiten, um dies zu ändern?

Prof. Dr. Andrea Fischbach: Es gilt an den systemischen Unterschieden zu arbeiten, denn Motivation, Interesse und Kompetenzen von Frauen sind nicht anders als bei Männern. Das zeigen zahlreiche Studiendaten. Frauen machen jedoch ganz andere Erfahrungen in ihren Karrieren: Beruf und Familie lassen sich für sie schlechter vereinbaren als für Männer. Studien zeigen auch, dass Frauen in Organisationen mit geringem Frauenanteil mehr Diskriminierung erleben. Frauen mit Kindern werden oft als "Störfaktor" wahrgenommen, wenn sie entsprechende Bedürfnisse zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf äußern. Dabei könnten solche Bedürfnisse von vornherein stärker berücksichtigt werden: Zum Beispiel erlauben feste wiederkehrende Gremientage oder Austauschtermine mit verbindlichen Zeitstrukturen eine bessere Planbarkeit für Eltern – und natürlich auch alle anderen.

Es ist auch wichtig, dass Frauen – genau wie Männer – mit Kindern in der Wissenschaft als berufstätige Personen sichtbar sind. Und zwar durchaus mit den Anforderungen, die dies für eine Berufstätigkeit mit sich bringt. Da hat an der DHPol durch Familienzimmer, KiTa-Plätze und digitale Möglichkeiten viel Entwicklung stattgefunden. Ein familienorientiertes Personalmanagement wird beim Wettbewerb um Fachkräfte in Zukunft noch stärker an Bedeutung gewinnen. Gleichstellungsbeauftragte, -pläne und ausgewogene Besetzungen von Berufungskommissionen sind ebenfalls wichtig. Die Frage ist jedoch immer, ob und wie diese in Organisationen auch wirklich akzeptiert und gelebt werden.

Welche Ratschläge geben Sie Frauen, die sich für eine Karriere in der Wissenschaft entscheiden?

Prof. Dr. Andrea Fischbach: Meine Ratschläge sind für alle Geschlechter gleich. Die intrinsische Motivation ist entscheidend! Man muss es wirklich wollen. Wichtig ist zudem, klare Prioritäten zu setzen und mit den eigenen Entscheidungen nicht zu hadern. Wenn ich mich für Kinder entscheide und einen Teil der Betreuung übernehme, heißt das möglicherweise, dass ich in einer bestimmten Zeit weniger Raum für meine Forschung habe. Andersherum: Entscheide ich mich dafür, die Priorität auf die Wissenschaft zu legen und habe Kinder, sollte ich nicht unzufrieden damit sein, dass ich beruflich z. B. einige Zeit im Ausland auf Kongressen verbringe und meine Familie in dieser Zeit nicht sehe.

In diesem Zusammenhang habe ich einen Appell in Richtung Gesellschaft und an die Organisationen: Familienphasen bei Wissenschaftler:innen müssen mehr Würdigung finden. Und zwar weit über Mutterschutz und Elternzeit hinaus. Wir brauchen mehr Lebensphasenorientierung in der Berufswelt, wenn wir Biografien beurteilen. Es kann sein, dass Forschende in gewissen Zeitspannen weniger publizieren, weniger Vorträge halten oder auf Konferenzen vertreten sind, weil sie Kinder betreuen, Angehörige pflegen oder vielleicht auch selbst erkrankt waren. Diese Lebensrealitäten findet in der Leistungsbeurteilung noch zu wenig Berücksichtigung. Die Frage, wie man dies berücksichtigen kann, ist natürlich eine methodische Herausforderung. Allein den Blick dafür zu öffnen, wäre jedoch ein großer Schritt.  

Was wünschen Sie sich für die Zukunft mit Blick auf Frauen in der Wissenschaft?

Prof. Dr. Andrea Fischbach: Zunächst einmal, dass sich jede Person den eigenen Interessen entsprechend gut entwickeln kann und hierfür alle Möglichkeiten bekommt. Das Emmi-Noether-Programm der Deutschen Forschungsgemeinschaft zur Förderung herausragender junger Wissenschaftler:innen ist eine tolle Unterstützung. Ebenfalls wünschenswert sind mehr Karriereprogramme mit Lebensphasenorientierung, die verschiedene Arbeits- und Lebensmodelle berücksichtigen. 

Als Forscherin in der Sozial-, Arbeits- und Organisationspsychologie wünsche ich mir natürlich, dass es irgendwann keine geschlechtsbedingten Unterschiede mehr gibt, wenn es um Strukturen, Rollen und Perspektiven geht.

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