Das Projekt
Gewalttätige Übergriffe gegenüber Einsatzkräften stellen nicht nur einen Tabubruch dar, weil sie gegen das allgemein geltende Gebot des Gewaltverzichts verstoßen, sondern insbesondere, weil sie sich gegen Personen richten, die einer besonderen Aufgabenverpflichtung nachkommen. Der Themenkomplex hat dabei nicht nur innerhalb der Polizei, sondern medial und gesamtgesellschaftlich den Status eines etablierten Diskursgegenstandes erlangt.
Ausgelöst durch die Übergriffe auf Polizeibeamt*innen und Einsatzkräfte der Feuerwehr während der Blockupy-Proteste anlässlich der Eröffnung der neuen Zentrale der Europäischen Zentralbank in Frankfurt am Main im Jahr 2015 brachte der Gesetzgeber schließlich eine Initiative auf den Weg, die expressis verbis die Stärkung des Schutzes von Vollstreckungsbeamt*innen und Rettungskräften intendierte und insbesondere zu einer Neufassung der §§ 113, 114 und 115 StGB führte. Durch die Änderungen wurde die Tatbegehungsform des tätlichen Angriffs aus § 113 StGB a.F. herausgelöst und in § 114 StGB als einen selbständigen Straftatbestand mit verschärftem Strafrahmen überführt, der nunmehr auf die Vornahme einer Vollstreckungshandlung verzichtet. Gesetzeshistorisch betrachtet stellt die Neufassung die zweite Verschärfung und Erweiterung dieser Vorschriften in den letzten sechs Jahren dar.
Sowohl im rechtswissenschaftlichen als auch kriminalpolitischen Diskurs löst die Strafschärfung nach wie vor zahlreiche Kontroversen aus unterschiedlicher Perspektive aus.
Das Forschungsprojekt beabsichtigt daher, die Auswirkungen der Gesetzesänderung der §§ 113, 114, 115 StGB auf die betroffenen Akteure und die Strafverfolgungsbehörden im Rahmen eines interdisziplinären Ansatzes qualitativ im Sinne einer durch den Koalitionsvertrag vorgesehenen evidenzbasierten Kriminalpolitik zu evaluieren.
Eine entsprechende Bewertung ist jedoch nur bei einer ganzheitlichen Betrachtung des Phänomens möglich, sodass es notwendig erscheint, nicht nur die strafrechtlichen Normen zu betrachten, sondern ebenfalls das tatsächliche Geschehen des Übergriffs näher in den Blick zu nehmen. Vor dem Hintergrund, dass der Einsatz von Gewalt gegenüber Einsatzkräften aus einem dynamischen, interaktionellen, mitunter konfliktträchtigen Geschehen resultiert, ist die Verlagerung der Perspektive auf die möglicherweise divergierenden Sichtweisen der an der Situation beteiligten Parteien notwendig, um etwaige Kausalzusammenhänge zu identifizieren, die einen Übergriff begünstigen. Hierzu werden eine umfangreiche Aktenanalyse sowie problemzentrierte Interviews durchgeführt.
Das Vorhaben beschäftigt sich zudem mit den unterschiedlichen Positionen innerhalb von Diskursen über Gewaltanwendung und den daraus abzuleitenden Einstellungen zur Gewalt vor dem Hintergrund einer möglichen Bestrafung, mit Eskalationsprozessen unter Berücksichtigung der objektiven und subjektiven Merkmale der in einen Übergriff mündenden Interaktion sowie den Auswirkungen der justiziellen Aufarbeitung von Übergriffen durch die in Kraft getretenen Änderungen.
Das Projekt wird 2022 von Prof. Dr. Anja Schiemann als GeVoRe II an der Universität zu Köln weitergeführt.