14.05.2024
von Stefan Mayer
Führung steht in der Welt von heute und morgen vor immer größer werdenden Herausforderungen. Beispielhaft seien hier nur die Themenfelder Digitale Führung, Generation Z, Wertewandel, KI und Robotik, Fachkräftemangel, Teilzeitarbeit, Klimawandel, fehlende finanzielle Ressourcen, Kriege, Fluchtbewegungen und demokratische Resilienz genannt.
Die Akronyme VUCA Welt (Volatility, Uncertainty, Complexity, Ambiguity) und BANI (Brüchigkeit, Ängstlichkeit, Nichtlinearität und Inkonsistenz) stehen stellvertretend für diese Entwicklungen.
In der vergangenen Woche fand an der Deutschen Hochschule der Polizei ein Seminar zum Thema Coaching statt. In einem ersten Schritt ging es um die Klärung und Abgrenzung von Begrifflichkeiten wie Coaching, Supervision, Mentoring, Mediation, Konfliktberatung, Kollegiale Beratung, Therapie oder Feedback.
Was kennzeichnet ein professionelles Coaching?
Vereinzelt werden insbesondere die Begrifflichkeiten Coaching und Mentoring fast synonym zueinander verwandt, dabei gibt es jedoch zwei entscheidende Unterschiede. Zum einen handelt es sich bei einem professionellen Coach / einer professionellen Coachin um eine Person, die u.a. eine mindestens mehrmonatige spezielle Ausbildung durchlaufen hat. Zum anderen wird ein professioneller Coach/in immer versuchen, neutral zu sein und keine eigenen Interessen mit dem/der Coachee verbinden.
Im Gegensatz dazu hat ein/eine Mentor/in zwar eine oftmals umfangreiche berufliche Erfahrung in der entsprechenden Organisation, allerdings im Regelfall nur eine sehr begrenzte entsprechende Ausbildung für derartige Unterstützungsmaßnahmen. Zudem sind beide häufig in der gleichen Organisation (Polizei) tätig. Damit sind Abhängigkeiten und eigene Absichten (möchte z.B., dass der Coachee in der Organisation besonders erfolgreich ist und man damit auch als Mentor/in positiv wahrgenommen wird) nicht von vorneherein auszuschließen.
Warum betone ich „professionelle Coaches“? Der Begriff Coach/in ist in Deutschland leider – anders als z. B. in Österreich – nicht geschützt. Jeder darf sich mit oder ohne Ausbildung als Coach/in bezeichnen. Manchmal liegen die Interessen bestimmter Coaches/Coachinnen vor allem in den eigenen finanziellen Vorteilen.
Riesige Themenbandbreite und unterschiedlicher Einsatz von Coaching
Die Vielfalt der im Seminar behandelten Themen war riesig: Wo und wie können Coachingangebote in der Polizei implementiert werden? Welche Ansätze der professionellen Verankerung existieren bereits in einzelnen Bundesländern? Wie kann mit möglichen Berührungsängsten und Vorbehalten gegenüber Coaching umgegangen werden? Und welche Vor- und Nachteile ergeben sich, wenn Coaches aus der eigenen Organisation kommen? Was sind thematische Schwerpunkte beim Coaching von Führungskräften in der Polizei? Welche Coachingmethoden werden in der Praxis angewandt? Wie kann man feststellen, welche Coaches/Coachinnen eine gute Ausbildung haben? Kann man Coaching auch für „Halbfreiwillige“ anbieten?
Praxiseinblicke aus Polizeipräsidien, Ministerien, Landesämtern und Polizeihochschulen sowie der Blick über die Landesgrenze in das Bundesministerium für Inneres in Österreich boten Einblicke und bildeten die Grundlagen für die Diskussion der Teilnehmenden. Im Rahmen des Seminars konnten wir feststellen, dass das ob und in welchem Umfang in den Bundesländern und Behörden Coachingangebote offeriert werden, sehr unterschiedlich gehandhabt wird.
Verschiedene Coachingmethoden wurden durch unsere Referentinnen und Referenten vorgestellt und verdeutlichten mögliche Vorgehensweise in einem Coaching.
Zielsetzungen und Anlässe
Derartige Coachingprozesse zielen im Regelfall darauf ab,
- Führungs- und Entscheidungsverhalten zu verbessern,
- die Lebensqualität zu erhöhen und für eine Erleichterung im Arbeitsleben zu sorgen,
- die persönliche Reflexionsfähigkeit zu verbessern,
- verschiedene Verhaltensmuster zu erkennen und bewusst zu steuern
- und das Selbstmanagement zu optimieren.
Anlass von Coachees in der Polizei, sich von einem Coach oder einer Coachin unterstützen zu lassen, waren Themen wie z.B.
- Konflikte im Team
- Gespräche mit schwierigen Mitarbeitenden oder Vorgesetzen und die Vor-, Nachbereitung
- Unzufriedenheit mit gelebter Führungskultur
- Umgang mit Enttäuschungen oder Kränkungen
- Aushalten der Sandwichposition
- Aushalten der Schwerfälligkeit der Organisation
- Übernahme neuer/erster Führungsfunktionen
- Selbstorganisation bei (zu) vielen zeitgleichen Aufgaben
- Fachfremde Entscheidungen
- Um- und Neuorganisation eines Arbeitsbereiches
- Work-Life-Balance
- Persönliche Werte und Führung
- Persönliche Entwicklungsarbeit
- Karriereplanung
Viele dieser Themenfelder sind mir persönlich in meinen mittlerweile mehr als 40 Jahren in der Polizei selbst begegnet und ich gebe zu, ich wäre froh gewesen, einen Coach oder eine Coachin ab und zu an meiner Seite gehabt zu haben.
Vorurteile noch immer eine Herausforderung
Dankenswerter Weise stellten sich zwei Coachees im Seminar den Fragen der Teilnehmenden und schilderten ihr eigenes Erleben.
Während diese beiden sehr offen mit ihren Erfahrungen, die durchweg positiv waren, umgingen, scheint es nach wie vor noch nicht selbstverständlich in unserer Organisation zu sein, proaktiv damit umzugehen, dass man sich coachen lässt.
Typischerweise gilt in individualistischen Kulturen wie der unseren scheinbar nach wie vor, wer sich coachen lässt, hat ein Problem und wenn er sich zur Lösung des Problems Unterstützung sucht, ist die Person nicht kompetent und kann keine gute Führungskraft sein.
Umgekehrt wird eher ein Schuh daraus, nur wer sich als Führungskraft fortwährend weiterentwickelt und reflektiert, ist in der Lage eine wirklich professionelle Führungskraft zu werden oder zu sein.
In der freien Wirtschaft ist es für Führungskräfte schon seit Jahren geübte Praxis sich von einem Coach oder einer Coachin in der eigenen beruflichen Tätigkeit unterstützen zu lassen. Diese Angebote werden häufig standardmäßig von Firmen für ihre Führungskräfte angeboten oder aus der eigenen Tasche bezahlt. [K1]
Es wäre sicherlich ein Gewinn für unsere Organisation, wenn mehr Führungskräfte Erfahrungen im Zusammenhang mit Coaching machen dürften und insbesondere Führungskräfte in höchsten Spitzenämtern offen damit umgehen und für diese Maßnahme werben würden.
Coaching: eine Möglichkeit für professionelle Führungsarbeit in der Polizei
Langfristig würde ich mir wünschen, dass Coaching – trotz oder gerade wegen der aktuell angespannten Haushaltslage – als Angebot in allen Bundesländern und Behörden implementiert wird.
Coaching ist dabei „nur“ eine Unterstützungsmaßnahme. Diese sollte mit den anderen Methoden, wie z. B. Supervision, Mentoring, Kollegiale Beratung oder Konfliktberatung kombiniert werden. Jede dieser Unterstützungsmaßnahme bietet andere Ansätze und hat andere Möglichkeiten aber auch Grenzen.
Eine professionelle Polizei, die sich den aktuellen und zukünftigen Herausforderungen stellen will, muss bestrebt sein, ihren Führungskräften und Mitarbeitenden jede erdenkliche Unterstützung zu geben, damit diese die Herausforderungen, die zukünftig aus meiner Wahrnehmung heraus mit weniger Vollzeiteinheiten, unter Einsatz von KI und Technik und auf der Grundlage einer Aufgabenkritik in Angriff genommen werden müssen, erfolgreich bewältigen können.